„Wichtige Erinnerung und Mahnmal zugleich“ - Stolpersteine von Gunter Demnig vor der Altdorfer Synagoge verlegt

Es war eine unerwartet große Schar von Menschen verschiedenen Alters – von Jung bis Alt – die sich am gestrigen Vormittag neben der Altdorfer Kunsthalle, der ehemaligen Synagoge, eingefunden hatte, um des Schicksals von Leopold und Alice Dreyfuß und damit auch der großen ehemaligen jüdischen Gemeinde Altdorfs zu gedenken. Auf Initiative des Fördervereins ehemalige Synagoge heutige Kunsthalle Altdorf e.V. war der gebürtige Berliner Künstler Gunter Demnig  vor Ort und verlegte für Leopold und Alice Dreyfuß zwei seiner inzwischen 100.000 „Stolpersteine“ – Steine der Erinnerung und Mahnmale für die Gegenwart zugleich.

Gäste bei Stolpersteinverlegung

Neben Vertretern des öffentlichen Lebens, Anwohnern, Bürgern und Betreibern der Erinnerungsarbeit waren viele Schülerinnen und Schüler der beiden Ettenheimer Gymnasien zu dieser eindrucksvollen Erinnerungsstunde gekommen. Besondere „Ehrengäste“ waren Evelyn und Gerard Dreyfuß, unmittelbare Nachfahren der in den Konzentrationslagern ums Leben gekommenen früheren jüdischen Altdorfer Mitbürger, die neben der Synagoge, hinter dem heute noch erhaltenen steinernen Torbogen, eine koschere Metzgerei betrieben. Der unlängst verstorbene Robert Krais vom Deutsch-Israelischen Arbeitskreis hatte zu den im Elsaß wohnenden Dreyfuß‘ intensiven, freundschaftlichen Kontakt gehalten, wie in der Erinnerungsstunde mehrfach würdigend betont wurde.

Dagmar Abt, Vorsitzende des Fördervereins, begrüßte die Nachfahren von Leopold und Alice Dreyfuß auf Französisch – die, wie sich im weiteren Verlauf der Erinnerungsstunde herausstellte, sehr gut Deutsch sprechen. Bürgermeister Bruno Metz sprach von einem „besonderen Tag“, der gerade in einer Zeit, in der es leider wieder alarmierende Anzeichen von Ausgrenzung und mangelnder Toleranz in unserer Gesellschaft gebe, sehr wichtig sei. Das Sinnbild der Stolperstein-Verlegung bedeute eine wertvolle Erinnerung an die damals große jüdische  Gemeinde in Altdorf. Was damals durch die Nazi-Herrschaft passiert sei, dafür könne man kein Verständnis aufbringen.
 

Den Worten des Bürgermeisters schloss sich Altdorfs Ortsvorsteher Andreas Kremer an. Auch Kremer brachte seine Wertschätzung gegenüber all jenen zum Ausdruck, die derlei wichtige Erinnerungsarbeit leisten: dem verstorbenen Robert Krais, dem Förderverein, Isolde Wawrin, der Hausherrin der ehemaligen Synagoge, Margret Oelhoff und Achim Schwab, der punktgenau zum Tag der Stolperstein-Verlegung eine Erinnerungsbroschüre über „Jüdisches Leben in Altdorf“ herausgebracht hat.
Achim Schwab umriss sodann Leben und Schicksal von Leopold Dreyfuß und seiner Familie, in der sich Mutter und Sohn ins Elsaß retten konnten, während Vater und Tochter Alice den Nazi-Schergen ausgeliefert war (siehe nebenstehenden Kasten). Nach Schwabs Ausführungen war das Zusammenleben von Nicht-Juden und Juden in Altdorf von gutem Miteinander geprägt, wie er an der gemeinsamen Nutzung der koscheren Metzgerei  erläuterte. Schwabs Einladung zur Gedenkminute folgte die große Teilnehmerrunde, die bedauerlicherweise immer wieder durch lästigen LKW-Baustellenverkehr gestört wurde.
Zurückhaltend zeigte sich Künstler Gunter Demnig gegenüber den Fragen von Dagmar Abt. Er verwies auf die Informationsmöglichkeit über seine Messingplatten auf den Stolpersteinen im Internet (Stolpersteine .eu), wie sie inzwischen in 31 Ländern Europas an das Schicksal der Juden erinnern. Evelyn Dreyfuß dankte „im Namen der ganzen Familie für diesen Akt großer Symbolkraft“.  Derartige Aktionen, vor allem aber auch die große Zahl Jugendlicher, die an dieser Stolperstein-Verlegung teilnahmen, seien „tröstlich“.  Für sie und ihre Familie sei es wichtig, auch an diesem Tag die Luft des Großvaters zu teilen und die Straßen zu gehen, die ihre Tante einst beschritten habe.
 

Nach dem Akt im Freien lud Isolde Wawrin dann in das Innere der ehemaligen Synagoge ein, wo Schülern die Möglichkeit geboten war, den französischen Gästen, den Nachfahren von Leopold und Alice Dreyfuß, Fragen zu stellen. Eindrucksvoll auch Wawrin Gesang und Gitarrenspiel beim jiddischen Lied „Spiel mir a Liedele“ – wahrlich „mit Herz und viel Gefühl“, wie es an einer Stelle des Liedes heißt.

Text: Klaus Schade
Fotos: Sandra Decoux

Das Schicksal der Familie Dreyfuß

Leopold Dreyfuß wurde 1875 In Altdorf geboren. Aus seiner Beziehung zu der aus Uttenheim im Elsaß (das war ja nach dem Krieg von 1870/71 wieder deutsch geworden) stammenden Leonie Bloch gingen zwei Kinder hervor: Siegfried, auch Fritz genannt, und Alice. Wie fast alle Juden nahm Leopold am 1. Weltkrieg als deutscher Soldat teil. In der Dorfmitte, zwischen dem Gasthaus Hirsch und der Synagoge betrieb er mit seiner Frau eine koschere Metzgerei, die auch von Altdorfer Katholiken besucht wurde.
Nach der Reichspogromnacht am 10. November 1938 musste auch Leopold Dreyfuß mit anderen jüdischen Männern für mehrere Wochen nach Dachau. Weil ihm im Gegensatz zu Ehefrau Leonie die Auswanderung nach Frankreich verwehrt wurde (Sohn Fritz wohnte zu der Zeit bereits in Straßburg, das nach dem 1. Weltkrieg ja wieder französisch geworden war), war Leopold das Schicksal der Deportation in ein Ghettolager für ältere jüdische Menschen und Frontkämpfer in Theresienstadt beschieden, wo er im Februar 1944 wahrscheinlich den Hungertod starb.


Alice Dreyfuß, der Tochter des Ehepaares Leopold und Leonie, wurde die Ausreise nach Frankreich ebenso verweigert wie ihrem Vater. Zusammen mit ihrem Vater suchte sie bei Bekannten in Berlin, wo es noch eine große jüdische Gemeinde gab, Zuflucht. Sie musste für die Firma Siemens Zwangsarbeit zur Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft in Schichten leisten, die oft morgens um 4 Uhr begannen.  Nach der systematischen Verhaftungswelle ab 1943 musste sich auch Alice Dreyfuß für die Deportation nach Auschwitz bereithalten, wo sie zusammen mit über 1000 Berliner Juden sofort in den Gaskammern ermordet wurde.

Typ Name Datum Größe
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